BLOG  |  PODCAST

Die Verschwiegenheitspflicht des Betriebsrats nach § 79 BetrVG

Im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit erhalten die Betriebsratsmitglieder umfangreiche Informationen über ihren Arbeitgeber und den Betrieb bzw. das Unternehmen. Der Informationsanspruch aus § 80 Abs. 2 BetrVG ist bewusst weit gefasst, damit der Betriebsrat seiner Überwachungsaufgabe gerecht werden und prüfen kann, ob ggf. Mitbestimmungsrechte in Betracht kommen. Ist im Unternehmen zudem ein Wirtschaftsausschuss gebildet, gehen die Unterrichtungspflichten des Unternehmens gem. § 106 BetrVG in wirtschaftlichen Angelegenheiten noch weiter. Zu diesem Unterrichtungsanspruch des Arbeitgebers bildet die Verschwiegenheitspflicht nach § 79 BetrVG das gesetzliche Gegenstück.
Viele Informationen, die Betriebsratsmitglieder erhalten, sind nach dem Willen des Arbeitgebers nicht für die (Betriebs-)Öffentlichkeit bestimmt. Betriebsräte befinden sich deshalb oft in einem Dilemma: Einerseits sind sie der Belegschaft als ihrer Wählerschaft verpflichtet, andererseits bestimmt § 79 BetrVG eine Verschwiegenheitspflicht über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Diese gilt auch für Ersatzmitglieder des Betriebsrats sowie für Mitglieder des Wirtschaftsausschusses und Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretungen.
Die Schwierigkeit besteht nun in der Entscheidung, ob eine Information als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gilt und inwiefern die Belegschaft informiert werden darf. Gerade im Fall von Betriebsänderungen drängen Arbeitgeber zumeist darauf sämtliche in den Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan mitgeteilten Informationen vertraulich zu behandeln. Dabei steht die Befürchtung im Vordergrund, das Bekanntwerden eines Personalabbaus könnte zu Unruhe im Betrieb führen. Der Betriebsrat wird dagegen ein vitales Interesse daran haben, die Kollegen ins Bild zu setzen.
Das Risiko einer Fehleinschätzung durch den Betriebsrat bzgl. der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht ist dabei nicht unerheblich. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist strafbar, §120 BetrVG. Zudem kann ein Verstoß zum Verlust des Betriebsratsamtes und ggf. zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Vorsicht ist damit alle mal geboten.
§ 79 BetrVG sieht zunächst vor, dass Betriebsratsmitglieder verpflichtet sind, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren. Die Begriffe Betriebsgeheimnis und Geschäftsgeheimnis definiert das BetrVG nicht. In der Rechtsprechung hat sich eine Definition herausgebildet, die im Wesentlichen auf drei Kernelemente zurückgeführt werden kann. Demnach muss es sich zunächst um eine Tatsache, Erkenntnisse oder Unterlagen handeln, die nicht offenkundig oder allgemein bekannt sind. Sie darf also nur einen begrenzten Personenkreis zur Verfügung stehen. Dies bedeutet für den Betriebsrat, dass insb. Informationen, die im Bundesanzeiger oder im Internet zu finden sind, weitergegeben werden dürfen. Die Begrenzung des Personenkreises ist in diesem Fall bereits aufgegeben.
Es muss sich um Tatsachen, Erkenntnisse oder Unterlagen handeln, die sich auf die Erreichung des Betriebszwecks beziehen (Betriebsgeheimnis), z.B. Konstruktionspläne, Fertigungsverfahren oder die chemische Zusammensetzungen eines Produktes, oder auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens (Geschäftsgeheimnis), z.B. die Preiskalkulation oder die Liquidität.
Daneben muss der Wille des Arbeitgebers bestehen, die Tatsache vertraulich zu behandeln. Ein solcher Wille des Arbeitgebers ist allein aber noch nicht ausreichend. Nicht jede Mail, die mit dem Hinweis "Vertraulich" versehen ist, ist damit auch vertraulich zu behandeln. Eine entsprechende Kennzeichung ist lediglich ein Indiz.

Hinzukommen muss ein berechtigtes objektives Interesse des Arbeitgebers an der Geheimhaltung. Dieses liegt dann vor, wenn die Information für die Wettbewerbssituation des Unternehmens relevant ist, weil die Konkurrenz damit ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern könnte. Die Frage nach einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers wird insbesondere im Zusammenhang mit einem größeren Personalabbau virulent. Dass ein solcher Personalabbau zu einer Unruhe im Betrieb und zu einer Schwächung der Wettbewerbsposition des Arbeitgebers führen könnte, rechtfertigt allerdings nicht, sämtliche Informationen im Rahmen der Verhandlungen über den Personalabbau für geheimhaltungsbedürftig zu erklären. Es besteht daher nicht per se eine Geheimhaltungspflicht über Gegenstand und Verlauf der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. Insofern überwiegt regelmäßig das Interesse des Betriebsrats, sich mit der Belegschaft über die geplanten Veränderungen austauschen zu können. Allerdings ist seitens der Betriebsratsmitglieder Vorsicht angezeigt.

Das LAG Hessen (Beschl. v. 12.03.2015 - 9 TaBV 188/14) sah in einem Fall, in dem der Betriebsratsvorsitzende die Mitarbeiter über einen Personalabbau informiert hatte, obwohl der Personalleiter unter Verweis auf die nicht abgeschlossene Planung gebeten hatte, davon abzusehen, einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht. Allerdings seien auf Grund des Zusammenhangs mit dem Betriebsratsamt strenge Anforderungen an die Rechtfertigung einer aus diesem Grund erfolgenden Kündigung zu stellen. Grundsätzlich habe das Amtsenthebungsverfahren nach § 23 BetrVG Vorrang. Das Gericht hielt dem Betriebsratsvorsitzenden zu Gute, dass er nicht im Eigeninteresse gehandelt und auch keine Geschäftsgeheimnisse an die Konkurrenz verraten hatte. Die ebenfalls beantragte Amtsenthebung des Betriebsratsvorsitzenden scheiterte vor dem LAG Frankfurt ebenfalls, da dieser zwischenzeitlich erneut in den Betriebsrat gewählt worden war. In einem solchen Fall können Amtspflichtverletzungen, die während der vorhergehenden Amtsperiode begangen wurden, nicht mehr für ein Amtsenthebungsverfahren herangezogen werden.

Eine andere Kammer des LAG Hessen (Beschl. v. 20.03.2017 - 16 TaBV 12/17) geht davon aus, dass ein dem Betriebsrat mitgeteilter geplanter und interessenausgleichspflichtiger Personalabbau als solcher jedenfalls ab dem Zeitpunkt kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis mehr darstellt, zu dem der Arbeitgeber das nach dem BetrVG vorgesehene Mitwirkungsverfahren eingeleitet hat. Die nach §§ 111, 112 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme als solche genießt nach Auffassung der 16. Kammer des LAG keinen Geheimnisschutz.
Erforderlich ist weiter, dass der Arbeitgeber die Information ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hat. In welcher Form diese Erklärung durch den Arbeitgeber zu erfolgen hat, ist nicht geregelt. Alleine aus Gründen der Beweisbarkeit, wird der Arbeitgeber die Erklärung jedenfalls in Textform abgeben. Die mündliche Bezeichnung als geheimhaltungsbedürftig ist aber für sich genommen bereits ausreichend. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber klar zum Ausdruck bringt, dass eine bestimmte Information geheimhaltungspflichtig sein soll.
Die Verschwiegenheitspflicht besteht nur gegenüber außerhalb des jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Gremiums stehenden Dritten. Nicht dagegen etwa unter den Mitgliedern des Betriebsrats oder des Wirtschaftsausschusses selbst. Die Verschwiegenheitspflicht endet allerdings nicht mit dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat, sondern gilt auch nach dem Ende der Amtszeit fort.
 
 

Fristlose Kündigung eines unaufmerksamen Wachmannes wirksam

Das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 09.09.2015 - 17 Sa 810/15) hatte aktuell über die fristlose Kündigung eines Wachmannes zu entscheiden. Die Arbeitgeberin war damit beauftragt, den Ausgang des Produktionsbereichs einer Münzprägeanstalt zu bewachen. Am Ausgang wurden Kontrollen der Mitarbeiter durchgeführt. Die Mitarbeiter verlassen den Produktionsbereich durch ein Drehkreuz. Per Zufallsgenerator wurden die zu kontrollierenden Mitarbeiter ausgewählt. In diesem Fall wurde das Drehkreuz durch den Zufallsgenerator gesperrt.

Der Wachmann schaltete den Zufallsgenerator aus und verließ den Ausgangsbereich um einen anderen Mitarbeiter zu besuchen. Von diesem nahm er ein Kunststoffrohr entgegen und verstaute es in seinem Auto. Den vorgeschriebenen Begleitschein hatte er dafür nicht. Für personellen Ersatz im Kontrollbereich sorgte er nicht, so dass der Produktionsbereich unkontrolliert verlassen werden konnte. Einige Tage später stellte die Münzprägeanstalt fest, dass Gold im Wert von ca. 74.000 € abhanden gekommen war.

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Wachmann fristlos. Das LAG Berlin-Brandenburg hielt die Kündigung für wirksam. Es stellte hierbei insbesondere auf die besondere Vertrauensposition des Arbeitnehmers ab. Er habe das Sicherungsinteresse der Münzanstalt in erheblichem Maße verletzt. Durch die Mitnahme des Kunststoffrohres habe er sich darüber hinaus in Widerspruch zu seiner Vertrauensposition gesetzt. Seine Aufgabe sei es gerade gewesen, die unerlaubte Mitnahme von Gegenständen zu verhindern.


Rechtsanwalt Dr. Christian Velten - Arbeitsrecht Gießen  / Wetzlar

Impressum: hier


Lesen Sie auch meinen Blog zum IT-Recht und zur Unternehmensmitbestimmung!





Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb

Die Kündigung im Kleinbetrieb ist für den Arbeitgeber ein Kinderspiel, sollte man meinen! Arbeitnehmer in Betrieben, die nicht mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen, fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 KSchG. Für Altarbeitsverhältnisse, die bis zum 31.12.2003 begründet wurden, kann die Grenze unter Umständen bei mehr als fünf Arbeitnehmern liegen. Die Kündigung im Kleinbetrieb bedarf zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich keines verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Kündigungsgrundes.

Dass eine Kündigung im Kleinbetrieb unter Umständen trotzdem unwirksam sein kann, zeigt anschaulich die Entscheidung des BAG vom 23.07.2015 - 6 AZR 457/14. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber einer langjährig beschäftigten Arzthelferin gekündigt. Zur Begründung führt er im Kündigungsschreiben Veränderungen im Laborbereich an, die Umstrukturierungen erforderlich machen würden. Zudem wurde darauf verwiesen, dass die Klägerin pensionsberechtigt sei. Neben der Klägerin waren in der Praxis noch vier jüngere Mitarbeiterinnen beschäftigt.

Nach Auffassung des BAG war die Kündigung auf Grund einer Altersdiskrimierung unwirksam. Der Verweis auf die Pensionsberechtigung im Kündigungsschreiben, stelle ein Indiz für eine Diskriminierung der Klägerin auf Grund ihres Alters dar. Dieses habe der Arbeitgeber nicht entkräftet. Da die Kündigung somit gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG verstieß, war sie gem. § 134 BGB unwirksam.

Arbeitgeber sind gut beraten, auch Kündigungen im Kleinbetrieb sorgfältig zu prüfen, um Fehlerquellen auszuschließen. Für die Formulierung von Kündigungsschreiben gilt der Grundsatz "Weniger ist mehr". Da die Kündigung - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht begründet werden muss, sollte auf eine inhaltliche Begründung  im Kündigungsschreiben verzichtet werden.

Dr. Christian Velten
Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Gießen

Impressum: hier


Lesen Sie auch meinen Blog zum IT-Recht und zur Unternehmensmitbestimmung!



Fahrten vom Wohnort zu Kunden als Arbeitszeit?

Der Begriff der Arbeitszeit gehört sicherlich zu den vielschichtigsten Begrifflichkeiten im Arbeitsrecht. Ein Grund dafür ist, dass es keinen einheitlichen Arbeitszeitbegriff gibt. Es wird unterschieden zwischen der Arbeitszeit im Sinne des ArbZG, der vergütungspflichtigen Arbeitszeit und der mitbestimmungspflichtigen Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 BetrVG.

Kernregelung des Arbeitszeitrechts ist das ArbZG, das auf der europäischen Richtline 2003/88/EG beruht. Das ArbZG definiert in § 2 Abs. 1 die Arbeitszeit als Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Diese Definition hilft bei der Frage, was alles als Arbeitszeit in diesem Sinne anzusehen ist, nicht weiter. Es ist daher nicht verwunderlich, dass neben mittlerweile geklärten Fragen, immer wieder die Gerichte zur Entscheidung von Detailfragen bemüht werden.

Eine Berufsgruppe, die besonders schwierige Probleme im Arbeitszeitrecht aufwirft, sind die Mitarbeiter ohne festen Arbeitsort. Hierbei stellen die Außendienstmitarbeiter sicher die praktisch bedeutsamste Gruppe dar, aber auch Techniker, die nahezu ununterbrochen im Einsatz bei Kunden sind, gehören hierzu. 

Während bei Mitarbeitern, die fest im Betrieb arbeiten, die Fahrtzeit vom Wohnort zum Betrieb keine Arbeitszeit darstellt, lässt sich dies bei Außendienstmitarbeitern ohne festen Arbeitsort nicht übertragen. Fährt der Mitarbeiter morgens von seinem Wohnort direkt zu einem Kunden, gehört die Fahrtzeit zu seiner Arbeitsleistung und ist damit Arbeitszeit im Sinne des ArbZG. Schwieriger ist die Einordnung etwa bei Techniker, die abends das Servicefahrzeug mit nach Hause nehmen, um morgens direkt zum Kunden aufbrechen zu können. 

Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 10.09.2015 mit einer ähnlichen Konstellation bei einem spanischen Arbeitgeber befasst. Die dortige Firma hatte ihre dezentralen Regionalbüros geschlossen und die Mitarbeiter seitdem von Madrid aus gelenkt. Die Techniker, die Sicherheitsvorrichtungen in Häusern installieren und warten, betreuen jeweils ein bestimmtes Gebiet. Mit einem Firmenfahrzeug fahren die Techniker von ihrem Wohnort zum jeweiligen Einsatzort, teilweise über 100 km. Die Kommunikation mit der Zentrale in Madrid erfolgt über das zur Verfügung gestellte Mobiltelefon.
Der Arbeitgeber erfasste die Fahrten der Techniker vom Wohnort zum Standort des ersten und des letzten Kunden nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit.

Der EuGH hat entschieden, dass die streitigen Fahrtzeiten als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG anzusehen sind. Danach sei Arbeitszeit jede Zeitspanne, während derer ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Der EuGH ist der Auffassung, in der geschilderten Konstellation sei davon auszugehen, dass die Arbeitnehmer während der gesamten Fahrtzeit ihre Tätigkeit ausüben oder ihnen obliegende Aufgaben wahrnehmen. Ohne die Fahrten zu den Kunden, könne der Arbeitgeber keine technischen Leistungen erbringen. Würden nur die tatsächlich ausgeführten technischen Arbeiten zur Arbeitszeit zählen, so würde das Ziel der Richtlinie, der Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigt.

Die Mitarbeiter stünden dem Arbeitgeber auch während der Fahrzeiten für Anweisungen, etwa Terminsänderungen, zur Verfügung. Die Fahrten gehörten untrennbar zum Wesen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, die nicht nur auf die reine Erbringung der technischen Leistungen beschränkt sei.

In seiner Begründung nimmt der EuGH auch auf die Schließung der Regionalbüros Bezug. Darin zeige sich, dass die Fahrten vom Regionalbüro zum Kunden vorher zur Arbeitsleistung der Mitarbeiter gehört hätten und deshalb als Arbeitszeit anzusehen waren. Am Charakter der Fahrten habe sich durch die Schließung nichts geändert. Die Arbeitnehmer dürften nicht gezwungen sein, die Folgen der Schließung der Regionalbüros zu tragen. Auch dies beeinträchtige den mit der Richtlinie bezweckten Sicherheits- und Gesundheitsschutz.

Das Urteil des EuGH hat auch Bedeutung für das deutsche Arbeitsrecht, da das ArbZG auf der der Entscheidung zu Grunde liegenden Richtline beruht. Die Auslegung des Arbeitzeitbegriffs durch den EuGH ist daher auch im Rahmen des ArbZG ausschlaggebend. Es ist davon auszugehen, dass Fahrtzeiten in einem weiteren Umfang als bisher als Arbeitszeit angesehen werden. Andererseits hat der EuGH recht stark die Besonderheiten des Einzelfalles - Zentralisierung der vorherigen Regionalbüros - betont. Die Konsequenz ist, dass die Arbeitsgerichte ebenfalls in jedem Einzelfall zu prüfen haben, in welchem Umfang Fahrtzeiten vom Wohnort zum ersten und vom letzten Kunden, zur geschuldeten Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gehören und damit als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG zu berücksichtigen sind.

Dr. Christian Velten
Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Gießen

Impressum: hier


Lesen Sie auch meinen Blog zum IT-Recht und zur Unternehmensmitbestimmung!








Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz - vorerst - abgewiesen

Das BVerfG hat die ersten Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz als unzulässig abgewiesen (Beschl. v. 25.06.2015 - 1 BvR 555/15, 1 BvR 37/15 u. 1 BvR 20/15).

Beschwerdeführer in den drei Verfahren waren ein ausländisches Transportunternehmen, das auch in Deutschland tätig ist, ein minderjähriger Arbeitnehmer und eine Zeitungszustellerin. Der minderjährige Arbeitnehmer wandte sich gegen § 22 Abs. 2 MiLoG, wonach der Mindestlohn nicht für minderjährige Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung gilt. Die Zeitungszustellerin hielt die verspätete Einführung des Mindestlohnes für verfassungswidrig.

Die Verfassungsbeschwerden des ausländischen Transportunternehmens und des 17-jährigen Arbeitnehmers wies das BVerfG als unzulässig. Die Beschwerdeführer hätten zunächst auf Grund der Subsidiariät der Verfassungsbeschwerde die Arbeitsgerichte anrufen müssen. Der Arbeitnehmer hätte damit zunächst den Mindestlohn vor dem zuständigen Arbeitsgericht einklagen müssen. Im Rahmen dieses Verfahrens hätte er die verfassungsrechtlichen Bedenken darlegen können. Hätte das ArbG die Bedenken geteilt, hätte das Arbeitsgericht selbst das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des BVerfG einholen können. Gleiches galt für das Transportunternehmen. Dies hätte im Rahmen der Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht feststellen lassen können, dass es nicht dem MiLoG unterliegt.


Dr. Christian Velten
Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Gießen

Impressum: hier


Lesen Sie auch meinen Blog zum IT-Recht und zur Unternehmensmitbestimmung!






Wirksamkeit eines befristeten Arbeitsvertrages in der Wissenschaft bei Drittmittelfinanzierung nach § 2 II 1 WissZeitVG

Während die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nach dem TzBfG Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen ist, sind Entscheidungen zum WissZeitVG seltener. Hierbei geht es um die Befristung von Arbeitsverträgen im Bereich der Wissenschaft. Dort sind auf Grund der besonderen Spezifika von Wissenschaft und Forschung Befristungen in weiterem Umfang möglich als im Bereich des TzBfG. Das LAG Hessen hatte jüngst über einen Fall der Finanzierung einer Stelle an der Universtität Gießen durch Landesmittel zu entscheiden.
Bereits über 11 Jahre hinweg arbeitete ein Diplom-Mathematiker mit über insgesamt 16 befristeten Arbeitsverträgen bei der Universität Gießen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Immer wieder hatte sein Arbeitgeber die Arbeitsverträge neu mit ihm abgeschlossen und begründete dies mit der Finanzierung der jeweiligen Projekte über Drittmittel.
Nun klagte der Mathematiker und bekam zunächst vor dem ArbG Gießen auch Recht. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, das Land Hessen, zu dem die Universität selbst gehöre, könne kein "Dritter" i.S.d. § 2 II 1 WissZeitVG sein.
Das LAG Hessen folgte der Auffassung nicht und äußerte sich zugleich auch dazu, ob die immer wiederkehrende Befristung des Anstellungsverhältnisses rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Argumentativ zog es vor allem die Bundestagsdrucksache (16/3438, Seite 13 f.) zu § 2 II 1 WissZeitVG heran. Hierüber definierte es den Dritten i.S.d. Gesetzes als "nicht aus den der Hochschule oder Forschungseinrichtung zur Verfügung stehenden regulären Haushaltsmitteln, sondern anderweitige Finanzierung". Insofern könne auch das Land Hessen Dritter sein, der die finanziellen Mittel für die Universität zur Verfügung stelle. Folgerichtig greife auch § 2 II 1 WissZeitVG nach welchem die abermalige Befristung zulässig sei. Es stellt darüber hinaus begründend fest, dass der Universität nicht zugemutet werden könne, eine Stelle die aus Drittmitteln nur für eine bestimmte Zeit finanziert werden könne darüberhinaus aus eigenen Mitteln zu finanzieren.
Zu klären war darüberhinaus, ob in den zahlreichen Befristungen eine rechtsmissbräuchliche Situation vorläge. Unter besonderer Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, welcher die Freiheit von Forschung und Lehre schütze, sei allerdings kein Rechtsmissbrauch festzustellen.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Urteilsverweise:
Hess. LAG Urteil vom 05.08.2015, Az. 2 Sa 1210/14, vorherig: Arbeitsgericht Gießen Urteil vom 01.08.2014, Az. 10 Ca 14/14
Christina Diegel, Ingeniam Executive Search & Human Captial Consult GmbH & Co KG




Über uns

Wir sind eine zivil- und verwaltungsrechtlich ausgerichtete Partnerschaft von Rechtsanwälten. Bei uns finden Sie Ihren Experten für die Rechtsgebiete Mietrecht, Familienrecht, Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht. Einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt bildet das Datenschutzrecht.

Büro Gießen

Schiffenberger Weg 61
35394 Gießen

Tel.: 0641 9727668
Fax: 0641 9727669

giessen@jota-rechtsanwaelte.de

Büro Rechtenbach

Am Schwingbach 11
35625 Hüttenberg

Tel.: 06441 679766
Fax: 06441 679768

rechtenbach@jota-rechtsanwaelte.de