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Krank am Gleittag - Ist der wieder gutzuschreiben?

In Gleitzeitsystem besteht zumeist die Möglichkeit, Überstunden durch sog. Gleittage abzufeiert. Dies kommt vielen Arbeitnehmern entgegen, da der Freizeitausgleich oft attraktiver als eine Auszahlung ist.

Aber was passiert, wenn ein Arbeitnehmer einen Gleittag nimmt und an diesem Tag arbeitsunfähig erkrankt? Bei Urlaubstagen darf auf Grund von § 9 BUrlG bei einer Arbeitsunfähigkeit am Urlaubstag dieser Tag nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, wenn der Arbeitnehmer eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Fälle vergleichbar, hat der Arbeitnehmer bei einer Erkrankung doch letztlich nichts von der gewährten Freizeit. Bei genauer Betrachtung gibt es allerdings einen bedeutsamen Unterschied: Die Gewährung des Gleittages erfolgt primär dazu, die geleistete Arbeitzeit des Arbeitnehmers wieder auf die durchschnittliche Regelarbeitszeit zurückzuführen, also geleistete Überstunden auszugleichen, so dass im Schnitt die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit geleistet wurde. Es geht also nicht wie beim Jahresurlaub, um eine Gewährleistung von bezahlten Zeiten der Erholung. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Freistellung am Gleittag ohne Minderung des Entgelts wird durch den Arbeitgeber mit Genehmigung des Gleittages gewährt und eine anloge Anwendung von § 9 BUrlG wird von der Rechtsprechung abgelehnt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.11.2015 - 5 Sa 342/15).

Das bedeutet im Ergebnis, dass grundsätzlich Gleittage nicht wieder gutzuschreiben sind, wenn der Arbeitnehmer am Gleittag arbeitsunfähig erkrankt ist. Eine Ausnahme davon, kann aber ausdücklich in einem anwendbaren Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vorgesehen sein. Praxisrelevant dürfte vor allem der Fall einer Betriebsvereinbarung sein. Betriebsräte sollten die Rechtslage im Blick haben und ggf. bei der Verhandlung der Betriebsvereinbarung zum Gleitzeitsystem berücksichtigen. Auf diesem Weg können interessengerechte Lösungen gefunden werden.

 

 

Änderungen im Nachweisgesetz - Handlungsbedarf für Arbeitgeber

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Neue Anforderungen an Nachweis der Arbeitsbedingungen

I. Hintergrund der Gesetzesänderung

Die Bundesregierung hat im April 2022 einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.07.2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungsrichtlinie“) auf den Weg gebracht. Die Arbeitsbedingungenrichtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparente und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet wird. Der deutsche Gesetzesentwurf beinhaltet vor allem Änderungen des Nachweisgesetzes (NachwG) und geht an einigen Stellen sogar über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Der Entwurf wurde am 23.6.2022 ohne Änderungen beschlossen. Die Änderungen im NachwG treten zum 01.08.2022 in Kraft und verursachen einen nicht unerheblichen Handlungs- und Anpassungsbedarf für Arbeitgeber.

II. Änderungen im NachwG

1. Erweiterter Katalog in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG

Das NachwG verpflichtet Arbeitgeber, wesentliche Bedingungen des Arbeitsverhältnisses sowie deren Änderung aufzuzeichnen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen.
Bislang müssen lediglich die wesentlichen Vertragsbestandteile, etwa Name und Anschrift der Parteien des Arbeitsvertrags, Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses oder die vereinbarte Arbeitszeit, schriftlich niedergelegt werden (vgl. den Katalog in § 2 Abs. 1 NachwG a.F.). Dieser Nachweis konnte und wurde in der Praxis bislang durch einen den Anforderungen genügenden Arbeitsvertrag erfüllt, sodass die Bedeutung des NachwG eher gering war. Der Katalog in § 2 Abs. 1 NachwG soll zukünftig um folgende Punkte ausgeweitet werden, sodass wesentlich mehr Arbeitsbedingungen schriftlich niedergelegt werden müssen:

  • Dauer der vereinbarten Probezeit
  • Bei befristeten Arbeitsverhältnissen das Enddatum
  • Hinsichtlich des Arbeitsortes nicht nur, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann, sondern auch alternativ auf eine freie Wahl des Arbeitsortes.
  • Die Gehaltsbestandteile sind zukünftig jeweils getrennt anzugeben und es außer auf die Fälligkeit auch auf die Art der Auszahlung hinzuweisen
  • Die vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen.
  • Die Möglichkeit und Voraussetzungen der Anordnung von Überstunden.
  • Die neue Nr. 9 enthält besondere Nachweisverpflichtungen bei Abrufarbeit im Sinne von § 12 TzBfG
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen.
  • Der Name und die Anschrift des Versorgungsträgers, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt.
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Kündigungsfristen sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage.
  • Ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis u.a. auf die anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.
  • Bei einer Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland sieht die Neufassung des NachwG in § 2 Abs. 2 ebenfalls umfangreiche Pflichten zur Niederschrift vor.

Problematisch ist die Ausweitung des Katalogs v.a. auf den Nachweis bzgl. des einzuhaltenden Verfahrens im Falle einer Kündigung, welcher mindestens das Schriftformerfordernis, die Kündigungsfristen sowie die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) umfassen muss (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG n.F.). Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen drei „Mindestangaben“ finden keine Entsprechung in der EU-Richtlinie, die eine Unterrichtung des Arbeitnehmers hinsichtlich des „bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende[n] Verfahren[s], einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen“ erfordert. Die Richtlinie sieht folglich eine weiter gefasst Nachweispflicht vor.

Ob die drei Mindestangaben des deutschen Gesetzesentwurf dem genügen oder ob im Wege europarechtskonformer Auslegung weitere Angaben erforderlich sind, ist unklar. Die Voraussetzungen des deutschen Kündigungsschutzverfahrens sind vielfältig, sodass die „Unterrichtung über das einzuhaltende Verfahren“ etwa auch das Erfordernis der Beteiligung des Betriebsrats oder der Unterrichtung des Schwerbehindertenvertreters umfassen könnte.

Es bleibt damit unklar, wie genau die Unterrichtung der Arbeitnehmer aussehen muss, sodass leider wieder eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht. Zum Teil wird die Aufnahme der Mindestangaben als ausreichend angesehen und darauf verwiesen, dass die Fehleranfälligkeit erhöht wird, desto mehr Angaben aufgenommen werden (vgl. Grimm, https://www.arbrb.de/blog/2022/06/29/bearbeitungshilfe-zur-erteilung-des-arbeitgebernachweises-nach-dem-nachwg-ab-dem-1-8-2022/). Zum anderen wird auf eine evtl. erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der deutschen Vorschrift hingewiesen und daher empfohlen, sich eher an der EU-RL zu orientieren (Möller, ArbRAktuell 2022, 299, 300). 

Gem. § 2 Abs. 4 S. 2 NachwG n.F. besteht die Möglichkeit, auf gesetzliche Vorschriften zu verweisen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Kündigungsfrist interessant, da so die Regelungen "abgeschrieben" werden müssen. § 7 KSchG soll jedenfalls von dem ordnungsgemäßen oder fehlenden Nachweis der Drei-Wochen-Frist im Arbeitsvertrag unberührt bleiben und findet weiter Anwendung. Eine falsche Information des Arbeitgebers diesbezüglich hat damit auf den ersten Blick keine Auswirkungen auf die Präklusionsfrist. Ob allerdings bei einer unterbliebenen oder falschen Information und darauf basierender Fristversäumnis ggf. ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber in Betracht kommt, bleibt ungewiss.

2. Erweiterter Anwendungsbereich

Bisher galt das Nachweisgesetz in persönlicher Hinsicht nicht für Arbeitnehmer, die nur zur vorrübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt waren. Diese Einschränkung soll durch den Gesetzesentwurf aufgehoben werden. Der Gesetzesentwurf geht in diesem Punkt über die Vorgaben der EU-RL hinaus und gilt nunmehr für alle Arbeitnehmer.

3. Verkürzte Fristen

Nach der Neufassung des NachweisG sind Arbeitgeber ab dem 01.08.2022 verpflichtet,  auf Verlangen des Arbeitnehmers binnen sieben Kalendertagen die Niederschrift über die Arbeitsbedingungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 -10 NachwG n.F. auszuhändigen, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor dem 01.08.2022 bestanden hat, § 5 NachwG n.F. Diese Frist gilt damit insbesondere zu:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien,
  • Beginn des Arbeitsverhältnisses
  • bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Dauer und das Enddatum,
  • der Arbeitsort
  • die Beschreibung der Tätigkeit,
  • die Dauer der Probezeit,
  • die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts,
  • die Arbeitszeit
  • gegebenenfalls besondere Arbeitsbedingungen bei Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG sowie
  • die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden.

Für die Aushändigung der Niederschrift über die übrigen Arbeitsbedingungen des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG einen Zeitraum von bis zum einem Monat vor.

Die Pflicht entfällt allein dann, wenn eine frühere Information an den Arbeitnehmer bereits allen Anforderungen entspricht (§ 5 S. 2 NachwG n.F.) – was idR nicht der Fall sein dürfte. Arbeitgeber sollten sich daher schon jetzt darauf einstellen, die Nachweise innerhalb der Fristen ab dem 01.08.2022 erteilen zu können, um auf etwaige Verlangen der Arbeitnehmer rechtzeitig reagieren zu können. Künftige Änderungen der Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer bereits an dem Tag, an dem sie wirksam sind, schriftlich mitteilen. Bislang bestand dafür eine Frist von einem Monat.

Bei Arbeitsverhältnissen ab dem 01.08.2022 muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer künftig eine Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbestandteilen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, die Höhe des Arbeitsentgelts und die vereinbarte Arbeitszeit) bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung aushändigen. Die weiteren Angaben aus dem neuen Katalohg des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG sind innerhalb von 7 Tagen nachzuweisen. Nur in wenigen Ausnahmefällen beträgt die Frist für die Aushändigung des Nachweises noch einen Monat.

4. Schriftform

Für den Nachweis nach dem NachwG ist die elektronische Form ausdrücklich ausgeschlossen (§ 2 Abs. 1 S. 3 NachwG). Nachweise müssen daher weiterhin – entgegen vielfacher Kritik aus der Praxis – in Schriftform erteilt werden. Der fortschreitenden Digitalisierung wird damit nicht Rechnung getragen.

5. Verschärfte Bußgeldregelung

Sollten Arbeitgeber nicht innerhalb der oben genannten Fristen tätig werden, besteht nach § 4 Abs. 1, 2 NachwG n.F. die Möglichkeit zur Verhängung eines Bußgelds von bis zu 2.000 EUR. Ein Bußgeld soll darüberhinaus für eine „nicht richtige“ oder „nicht vollständige“ Aushändigung der Informationen verhängt werden könne.

III. Umsetzung

Bislang war es möglich, die Anforderungen des NachwG durch Aushändigung eines Arbeitsvertrags, der diesen Anforderungen entspricht, zu genügen. Mit der Ausweitung des Katalogs in § 2 Abs. 1 NachwG wurden viele Angaben aufgenommen, die rein deskriptiven Charakter aufweisen – etwa die Angaben zum Kündigungsverfahren –, und gerade keine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellen. Eine rechtliche Bindung an diese Angaben wird von Arbeitgeberseite vielfach nicht gewünscht sein. Es kann sich daher wie von Grimm (https://www.arbrb.de/blog/2022/06/29/bearbeitungshilfe-zur-erteilung-des-arbeitgebernachweises-nach-dem-nachwg-ab-dem-1-8-2022/) empfohlen anbieten, neben dem Arbeitsvertrag ein gesondertes Nachweisschreiben zu erstellen und den Arbeitnehmern auszuhändigen. Durch das Nachweisschreiben als bloße Wissenserklärung wird keine Bindungswirkung für den Arbeitgeber verursacht und die spätere Abänderung vereinfacht. Bei diesem Vorgehen muss jedoch differenziert werden, welche beiderseitigen Vereinbarungen weiterhin in den Arbeitsvertrag gehören und welche nicht. In dem Nachweisschreiben kann dann an den entsprechenden Stellen auf den Arbeitsvertrag verweisen werden. Insgesamt wird zukünftig Vorsicht geboten sein, wenn kein eigenständiger Nachweis erteilt, sondern die Arbeitsbedingungen aus § 2 NachwG in den Arbeitsvertrag einfließen sollen. Es sollte klar und deutlich zwischen vertraglichen Vereinbarungen und reinen Wissenserklärungen und deklaratorischen Hinweisen ohne vertragliche Bindungen unterschieden werden.

LAG Sachsen stellt gängige Vertragsstrafenklausel in Frage

LAG Sachsen Vertragsstrafe

 

In vielen Arbeitsverträgen finden sich Regelungen zu Vertragsstrafen, zB. für den Fall, dass der Arbeitnehmer die Tätigkeit nicht oder verspätet antritt oder unter Nichteinhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist auflöst. Das LAG Sachsen (Urt. v. 24.01.2022 - 1 Sa 345/21) musste sich jüngst mit einer solchen Klausel befassen und hat diese für unwirksam erachtet.
Die konkrete Klausel hielt bereits einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht stand. An dieser Stelle hätte das LAG Sachsen aus der Prüfung eigentlich schon aussteigen können. Als weitere Erwägung hielt es allerdings zusätzlich fest, dass die Klausel den Arbeitnehmer auch unangemessen benachteilige und somit ebenfalls aus diesem Grund unwirksam sein. Die unangemessene Benachteiligung ergebe sich daraus, dass nicht im Gegenzug zur Vertragsstrafe des Arbeitnehmers bei Vertragsbeendigung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist nicht - quasi als Ausgleich - auch eine Vertragsstrafe zu Lasten des Arbeitgebers vorsieht, wenn dieser das vereinbarte Entgelt nicht oder nicht rechtzeitig auszahlt. Diese Erwägungen haben es für die Praxis in sich. Enthalten doch die wenigsten Arbeitsverträge Vertragsstrafenklauseln für beide Vertragsparteien. Eine einseitige Belastung des Arbeitnehmers sei unzulässig. Der Arbeitnehmer sei schließlich auf die Vergütung zum Bestreiten seines Lebensunterhalts angewiesen.

Trotzdem überzeugt die Wertung des LAG Sachsen vor dem Hintergrund der langjährigen BAG-Rechtsprechung zu Vertragsstrafenklauseln nicht. Deren Zulässigkeit ergibt sich aus der Erwägung, dass eine Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Erbringung der Arbeitsleistung gem. § 888 Abs. 3 ZPO nicht möglich ist. Demgegenüber kann der Arbeitnehmer die Zahlung des Entgelts für seine Tätigkeit nach Erhalt eines entsprechenden Titels im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen. Im Ergebnis sind die beiden Sachverhalte damit nicht vergleichbar und es liegt mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Besonderheiten keine unangemessene Benachteiligung vor.
Es bleibt abzuwarten, ob das BAG Gelegenheit erhalten wird, die Frage höchstrichterlich zu klären. Die Entwicklung sollte in jedem Fall beobachtet werden.

 

Erfolgreiche Kündigungsschutzklage schließt Anfechtung des Arbeitsvertrages aus

Anfechtung Rechtskraft Kündigungsschutz

Die Anfechtung einer Willenserklärung führt entsprechend der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 142 BGB dazu, dass im Erfolgsfall die Willenserklärung als nicht abgegeben fingiert wird. 

Hat ein Arbeitsgericht im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens rechtskräftig festgestellt, dass eine Kündigung unwirksam und damit das Arbeitsverhältnis über den beabsichtigten Beendigungstermin hinaus fortbesteht, kann eine vor diesem Zeitpunkt erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages nach Auffassung des BAG (Urt. v. 18.02.2021 - 6 AZR 92/19) keinen Erfolg (mehr) haben. Die Rechtsfolge der Anfechtung, dass das Angebot zum Abschluss des Arbeitsvertrages als nicht abgegeben gilt, und der Arbeitsvertrag deshalb ab Zugang der Anfechtungserklärung beseitigt worden ist, kann in diesem Fall nicht mehr fingiert werden.

Freistellung von der Arbeitsleistung nach Kündigung

Beschäftigungsanspruch vs Interesse an einer Nichtbeschäftigung

Stand: 01.04.2021

Ein Arbeitsverhältnis begründet Rechte und Pflichten sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers. Hauptleistungspflichten sind auf der einen Seite die Erbringung der Arbeitsleistung und auf anderen Seite (Arbeitgeber) die Zahlung der vereinbarten Vergütung.

Nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses haben Arbeitgeber oftmals den Wunsch, den Arbeitnehmer nicht mehr zu beschäftigen, z.B. aus der Befürchtung heraus, der Arbeitnehmer werde nun ohnehin nicht mehr ordentlich arbeiten, vielleicht sogar Kundendaten "mitnehmen" oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ausspionieren. Aber geht das so einfach? 

Zwar ist oft auch auf Seiten des Arbeitnehmers nach einer Kündigung die Motivation, noch weiter für den Arbeitgeber zu arbeiten, der ihn offenbar ja nicht mehr möchte zu arbeiten, eher gering. Ihm ist es oft ganz recht, von der Arbeitsleistung freigestellt zu werden. Dies macht auch die Suche nach einem neuen Arbeitgeber ggf. einfacher.

Rechtlich betrachtet, ist eine einseitige Freistellung eines Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung aber nicht ganz so einfach.

In einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis hat ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts (BAG GS, Beschl. v. 27.02.1985 - GS 1/84)einen aus dem allgemeinen Persönlichkeit hergeleiteten Beschäftigungsanspruch. Nach Auffassung des BAG ist das Nachgehen einer Beschäftigung Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer, solange das Arbeitsverhältnis besteht, die tatsächliche Beschäftigung verlangen.  Allerdings kann es Fälle geben, in denen der Arbeitgeber ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an einer Nichtbeschäftigung hat. Neben den Gründen, die auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden, kann dies der Fall sein, wenn die Gefahr eines Geheimnisverrats besteht, die Vertrauensgrundlage entfallen ist oder der Arbeitgeber keine Einsatzmöglichkeit mehr hat. Für das überwiegende schutzwürdige Interesse ist der Arbeitgeber darlegungs- und ggf. beweisbelastet.

Hat der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, stellt sich die Frage, ob für die Zeit bis zum Ablauf die gleichen Voraussetzungen für eine einseitige Freistellung vorliegen müssen. Teilweise wird vertreten, das der Arbeitgeber im gekündigten Arbeitsverhältnis generell ein berechtigtes Interesse an einer Freistellung habe. Dem dürfte aber entgegen zu halten sein, dass ein Arbeitsverhältnis auch, wenn es gekündigt ist, kein Arbeitsverhältis zweiter Klasse ist und daher der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht per se entfällt. Die neuere Rechtsprechung geht daher davon aus, dass auch im gekündigten Arbeitsverhältnis eine Interessenabwägung im Sinne der Rechtsprechung des Großen Senates des BAG vorgenommen werden muss und der Arbeitgeber auch hier überwiegende schutzwürdige Interessen für die Freistellung vorweisen muss (vgl. LAG Hessen v. 14.03.2011 - 16 Sa 1677/10). Anders kann dies aber bei Mitarbeitern in einer besonders herausgehobenen und verantwortungsvollen Position zu sehen sein. Hier dürfte in der Regel ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung bestehen.

Wichtig ist zudem, dass eine einseitige Freistellung immer noch gegen Fortzahlung der Vergütung in Betracht kommt. Auch wenn der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse hat, die Arbeitsleistung nicht mehr anzunehmen, so kann er sich demgegenüber nicht der Pflicht zur Zahlung der Vergütung entziehen.

Die Hürden für eine einseitige Freistellung von der Arbeitsleistung sind danach also recht hoch. Deshalb behalten sich viele Arbeitgeber bereits im Arbeitsvertrag das Recht vor, den Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung ggf. einseitig von Arbeitsleistung freistellen zu können. Solche Klauseln können jedoch nicht losgelöst von der nach Rechtsprechung vorgegeben Interessenabwägung eine grundlose einseitige Freistellung ermöglichen. Hier liegt jedenfalls nach der heute herrschenden Meinung in der Regel eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers, der hierdurch im Voraus ohne Kenntnis der jeweiligen Situation auf den Beschäftigungsanspruch verzichten würde (vgl. LAG Hessen, a.a.O.; Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rn. 570). Eine Freistellungsklausel sollte daher klarstellen, dass die Freistellung ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers voraussetzt sowie grundsätzlich die Fallgruppen, in denen ein solches Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung besteht, aufführen. Demgegenüber dürfte bei Personen, die in einer herausgehobenen Vertrauensposition beschäftigt sind, eine Klausel, die eine Freistellung auch ohne weitere Interessenabwägung vorsieht, nicht als unangemessene Benachteiligung und damit als wirksam anzusehen sein. Sie weicht nicht von den Grundgedanken des grundrechtlich vorgegebenen Beschäftigungsanspruchs ab.

In der Praxis wird tatsächlich häufig mit einer Kündigung zugleich die einseitige Freistellung gegen Entgeltfortzahlung ausgesprochen. Für den Arbeitnehmer bietet dies durchaus auf Grund der oben geschilderten rechtlichen Voraussetzungen tatktische Möglichkeiten. Wenn Ziel ist, möglichst schnell gegen Zahlung einer Abfindung auszuscheiden, vielleicht, weil der Arbeitnehmer bereits einen neuen Job in Aussicht hat, kann es sich anbieten mit einer einstweiligen Verfügung gegen die Freistellung vorzugehen, sofern jedenfalls hinreichende Erfolgsaussichten bestehen. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass kurzfristig - in der Regel innerhalb der nächsten 7 -10 Tage - ein Gerichtstermin anberaumt wird, der die Gelegenheit für eine gütliche Einigung bietet. Je nach Auslastung des zuständigen Arbeitsgerichts dauert es in einem Kündigungsschutzverfahren eher 2-3 Monate bis zum Gütetermin. Kann der Beschäftigungsanspruch für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden, so verliert der Arbeitnehmer zudem den Kontakt zum Betrieb nicht und erhält dadurch vielleicht Informationen, die für den Kündigungsschutzprozess bedeutsam sein können. Außerdem wird der Einigungsdruck auf Seiten des Arbeitgebers höher, wenn der Arbeitnehmer entgegen einer schon kommunizierten Freistellung wieder beschäftigt werden muss.

 

Aktuelles zum Vorbeschäftigungsverbot

Stand: 31.03.2021

Das Vorbeschäftigungsverbot in der neueren Rechtsprechung

"Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat." (§ 14 Abs. 2 S. 1 u. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz)

Eine der spannendsten Entwicklungen im Arbeitsrecht hat in den letzten Jahren die Vorschrift zum sog. Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 S. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hinter sich gebracht.

§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG lässt bis zu einer Dauer von zwei Jahren grundsätzlich eine sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses zu. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Vorschrift soll Befristungsketten mit sachgrundlosen Befristungen vermeiden.

Der Wortlaut legt es mangels zeitlicher oder anderweitiger Begrenzung nahe, dass jegliche Vorbeschäftigung eine sachgrundlose Beschäftigung unzulässig macht. Dabei kann man ein gewisses "Störgefühl" nicht ganz von der Hand weisen, wenn man z.B. an eine Vorbeschäftigung als Aushilfe im Rahmen eines studentischen Nebenjobs denkt, die bereits Jahrzehnte zurückliegt. Bei wortlautgetreuer Auslegung käme in einem solchen Fall eine sachgrundlose Befristung eines neuen Arbeitsvertrages nicht mehr in Betracht. Ist dies aber zwingend zur Verhinderung missbräuchlicher Kettenbefristungen erforderlich und steht dem ggf. die Berufsfreiheit des Art. 12 GG entgegen?

Diese Frage hat sich 2011 auch das Bundesarbeitsgericht gestellt. Es sorgte für Aufsehen als es im Rahmen einer richterlichen Rechtsfortbildung entschied, dass für eine sachgrundlose Befristung nur eine Vorbeschäftigung aus den letzten drei Jahren schädlich sei. Dies wurde vom BAG insbesondere mit arbeitsmarktpolitischen Erwägungen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung begründet. Die Reaktionen auf diese Rechtsprechung vielen höchst kontrovers aus. Teilweise verweigerten sogar Landesarbeitsgerichte dem BAG die Gefolgschaft. Letztlich kassierte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG v. 06.06.2018 – 1 BvL 7/14) die Rechtsprechung des BAG zur dreijährigen Karenzzeit im Jahr 2018 wieder. Im Grunde geht das BVerfG davon aus, dass die vom BAG vorgenomme Rechtsfortbildung nicht verfassungskonform ist. 

Bei der Auslegung von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist daher wieder davon auszugehen, dass dieser gerade keine strikte Karenzzeit oder andere Einschränkungen für eine Vorbeschäftigung enthält, d.h. grundsätzlich jede Vorbeschäftigung einer sachgrundlosen Befristung entgegen steht. Allerdings benennt auch das BVerfG drei Ausnahmen, bei deren Vorliegen, eine einschränkende Auslegung von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit geboten sein kann. Dies könnte zum einen bei einer sehr lang zurückliegenden Vorbeschäftigung, einer Vorschäftigung von sehr kurzer Dauer oder mit einer gänzlich andersartigen Tätigkeit sein. Hierdruch macht das BVerfG die Tür einen kleinen Spalt breit auf und eröffnet in (extremen) Ausnahmefällen den Arbeitsgerichten die Möglichkeit, im Rahmen verfassungskonformer Auslegung zur Wirksamkeit der sachgrundlosen Befristung zu gelangen. Die Hürden hierfür sind aber - wie bereits erste Entscheidungen des BAG zeigen - sehr hoch.

Sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung

Das BVerfG deutet die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung für den Fall einer sehr lange zurückliegenden Vorbeschäftigung an. Welche konkreten Zeiträume hier gelten, hat das BAG zwischenzeitlich konkretisiert. Während es eine sehr lang zurückliegende Vorbeschäftigung bei einem Zeitraum von 15 Jahren noch verneint hat (BAG v. 17.04.2019 - 7 AZR 323/17, NZA 2019, 1271), nahm es bei einem 22 Jahre zurückliegenden Arbeitsverhältnis eine verfassungskonforme Auslegung vor (BAG v. 21.08.2019 - 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40). Aus der Begründung des BAG insbesondere der letztgenannten Entscheidung lässt sich entnehmen, dass es die Grenze voraussichtlich bei 20 Jahren ziehen wird. In diesem Fall ist eine Gefahr einer missbräuchlichen Kettenbefristung - ausgehend von einem typischerweise 40 Jahre dauernden Arbeitsleben ausgeschlossen, da nur maximal zwei sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse möglich wären.

Sehr kurze Dauer der Vorbeschäftigung

Auch für die Frage, wann eine für eine sachgrundlose Befristung unschädliche Vorbeschäftigung von sehr kurzer Dauer vorliegt, hat das BAG erste Leitlinien entwickelt. Danach ist eine etwa sechsmonatige Vorbeschäftigung nicht mehr von sehr kurzer Dauer (BAG v. 12.06.2019 - 7 AZR 477/17). Dagegen dürfte z.B. sechswöchiger Schüler- oder Studentenjob der sachgrundlosen Befristung nicht entgegen stehen.

Gänzlich andersartige Tätigkeit

Für das Vorliegen einer gänzlich andersartigen Tätigkeit reicht es nicht alleine aus, dass sich der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers geändert hat. Vielmehr muss ein erhebliches qualitatives Gefälle anzunehmen sein. Die im neu begründeten Arbeitsverhältnis geschuldete Tätigkeit muss Kenntnisse und Qualifikationen erfordern, die sich wesentlich von denjenigen unterscheiden, die für die Vorbeschäftigung notwendig waren. Auch hier kann es zum Beispiel um vorgehende Aushilfsjobs als Schüler oder Student handeln.

Das BAG (Urt. v. 16.09.2020 - 7 AZR 552/19) hervorgehoben, dass das Merkmal der ganz anders gearteten Tätigkeit z.B. bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergehen müsse. Dabei sei vor allem ein inhaltlicher und lediglich ein zeitlicher Bruch der Erwerbsbiographie erforderlich. Die Aus- und Weiterbildung müsse zu einer anderen Tätigkeit befähigen, die der Erwerbsbiographie des Arbeitnehmers eine völlig andere Richtung gibt, so das BAG.

Praktische Auswirkungen

Um erst gar nicht in die Verlegenheit zu kommen, die vorstehend genannten Hürden überwinden zu müssen, bietet es sich für den Arbeitgeber an, vor Vertragsschluss den Arbeitnehmer nach einer etwigen Vorbeschäftigung zu fragen. Zumal viele Arbeitgeber oft nach 10 Jahren nach dem Ausscheiden ihrer Mitarbeiter aus datenschutzrechtlichen Gründen die Personalunterlagen endgültig vernichten. (Hier kann man natürlich auch die Frage stellen, ob die Löschung jedenfalls der Grunddaten wie Name des Mitarbeiters erst nach 20 Jahre durchgeführt werden muss, wenn sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse begründet werden, eben um ein etwaige Vorbeschäftigung feststellen zu können.)

Wurde ein Arbeitnehmer nach einer Vorbeschäftigung gefragt, und hat er dies wahrheitswidrig vereint, so kann der Arbeitgeber ggf. den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Dagegen begegnen Formulierungen in Arbeitsverträgen, nach denen der Arbeitnehmer bestätigen soll, nicht zuvor in einem Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber gestanden zu haben, AGB-rechtlichen Bedenken und dürften unwirksam sein (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 11.03.2020 – 4 Sa 44/19).

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