Gerade Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stehen in der Praxis häufig vor besonderen Herausforderungen: Mehrfachmandate, enge terminliche Taktung, Sitzungen parallel zu betrieblichen Verpflichtungen oder kurzfristige Abwesenheiten. Umso wichtiger ist es, die eigenen Rechte zu kennen, wenn eine persönliche Teilnahme an einer Sitzung nicht möglich ist.
Die Stimmbotenschaft nach § 108 Abs. 3 AktG ist hier ein oft unterschätztes, aber äußerst praxisrelevantes Instrument. Sie ermöglicht es Arbeitnehmervertretern, auch bei Abwesenheit aktiv Einfluss auf Beschlüsse zu nehmen.
1. Was ist eine Stimmbotenschaft?
Die Stimmbotenschaft ermöglicht es Aufsichtsratsmitgliedern, ihre Stimme schriftlich abzugeben und diese durch einen Boten in der Sitzung übermitteln zu lassen. Wichtig ist dabei:
- Das Stimmrecht bleibt höchstpersönlich.
- Der Bote gibt keine eigene Willenserklärung ab.
- Er übermittelt lediglich eine bereits festgelegte Ja‑, Nein‑ oder Enthaltungsstimme.
Die Stimmbotenschaft ist sowohl für Aufsichtsratssitzungen als auch für Ausschusssitzungen zulässig.
Ein ganz wesentlicher Punkt: Satzung oder Geschäftsordnung können die Stimmbotenschaft nicht ausschließen.
2. Klare Abgrenzung zur Stellvertretung
In der Praxis werden Stimmbotenschaft und Stellvertretung gelegentlich verwechselt. Der Unterschied ist aber fundamental:
- Stellvertreter treffen eigene Entscheidungen.
- Stimmboten haben keinerlei Entscheidungsspielraum.
Unzulässig ist daher insbesondere eine sogenannte Blankostimme. Ein Aufsichtsratsmitglied darf also nicht vorab ein leeres Formular unterschreiben und dem Boten überlassen, wie er die Stimme – je nach Verlauf der Diskussion – kennzeichnet. Die Stimmabgabe muss inhaltlich vollständig vor der Sitzung festgelegt sein.
3. Wer kann als Stimmbote fungieren?
In der Praxis kommen primär andere Aufsichtsratsmitglieder als Stimmboten in Betracht, insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende. Bei diesem darf ein Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser bereit ist, als Stimmbote tätig zu werden. Darüber hinaus können – wenn die Satzung dies zulässt – auch externe Personen als Stimmboten tätig werden, sofern sie nach § 109 Abs. 3 AktG zur Sitzungsteilnahme berechtigt sind.
4. Form der Stimmabgabe: Was bedeutet schriftlich?
Die Stimme muss schriftlich abgegeben werden. Hintergrund ist die Sicherstellung der Authentizität der Stimmabgabe.
Unproblematisch zulässig sind:
- Ein handschriftlich unterzeichnetes Originaldokument
- Ein Fax oder ein PDF‑Scan per E‑Mail, sofern es sich um ein Abbild des unterzeichneten Originals handelt
- Ein Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur des Aufsichtsratsmitglieds
Nicht ausreichend sind hingegen:
- einfache E‑Mails ohne Unterschrift
- SMS, Messenger‑ oder Teams‑Chat
5. Praktische Hinweise für Aufsichtsräte
Zum Abschluss einige zusätzliche Tipps aus der Beratungspraxis – insbesondere für Arbeitnehmervertreter:
- Frühzeitige Abstimmung mit der Entsendungsorganisation: Gerade bei gewerkschaftlich entsandten Aufsichtsratsmitgliedern empfiehlt sich eine rechtzeitige inhaltliche Abstimmung vor der Stimmabgabe.
- Klare Positionsfestlegung: Da keine Blankostimmen zulässig sind, sollte die eigene Haltung zum Beschlussgegenstand eindeutig feststehen.
- Sensibilität bei mitbestimmungsrelevanten Themen: Bei Personalfragen, Vorstandsangelegenheiten oder Restrukturierungen ist besondere formale Sorgfalt geboten.
- Dokumentation auch im eigenen Interesse: Die schriftliche Stimmabgabe kann im Haftungsfall oder bei internen Rückfragen von erheblicher Bedeutung sein.
- Keine faktische Umgehung der persönlichen Verantwortung: Die Stimmbotenschaft ersetzt nicht die aktive Aufsichtsratsarbeit, sondern sichert sie in Ausnahmefällen ab.
Gerade bei kontroversen Beschlüssen oder haftungsträchtigen Themen ist es für Arbeitnehmervertreter, die Stimmbotenschaft formell korrekt zu übermitteln und auf eine Dokumentation der Stimmabgabe in der Sitzungsniederschrift zu achten!
